Vertreibungen. Die Verteidigung von Land und Gemeingüter schlägt tiefe Wunden

Artikel von Elvia Miralda, nationale Menschenrechtsbegleiterin von Peace Watch Switzerland (PWS) in Honduras.

Tegucigalpa, Honduras

Kürzlich hatte ich bei einer meiner Menschenrechtsbegleitungen die Gelegenheit, einen bekannten Aktivisten der Ethnie der Tolupanes im Departement Yoro zu treffen. Während wir über seinen Kampf in dem Gebiet sprachen, erzählte er mir: “Meine Familie und ich wurden vor mehreren Monaten aus unserer Gemeinde vertrieben. Wegen der Verteidigung des Gebiets wurde ich mit dem Tod bedroht. Das hat uns vertrieben.» Als ich das Wort “vertrieben” hörte, fühlte ich einen Kloss im Hals. Welche Worte kann man für diejenigen finden, die gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen, um ihr Leben und dasjenige ihrer Familien zu retten? Leider war dieser Aktivist an diesem Tag nicht die einzige Person, die ich in dieser Situation antraf.

In den Gebieten des Widerstands, in denen sich Gemeinschaften mutig zusammenschliessen, um ihr Land und ihre Gemeingüter zu verteidigen, gibt es eine stillschweigende Tragödie, welche die Gemeinschaften und ihre Aktivisten stark betrifft: die Zwangsvertreibung.

Nach Angaben des UNO-Hochkommissariats für Menschenrechte verursachte die Gewalt in Honduras Binnenvertreibung von mehr als 247.000 Menschen, davon sind mehr als die Hälfte Frauen und 43% sind Kinder und Jugendliche.

Die Verteidigung des Territoriums und seine mutigen Aktivist*innen

Das Verteidigen eines Territoriums ist ein Kampf ums Überleben und um Gerechtigkeit. Indigene, bäuerliche und ländliche Gemeinschaften stehen in diesem Kampf oft an vorderster Front. Für sie ist ihr Land mehr als nur ein geografischer Raum; es ist ihre Lebensgrundalge, und es verkörpert ihre Geschichte, Kultur und Lebensweise. Sie verteidigen ihr Land gegen mächtige Interessen, die auf die Ausbeutung natürlicher Ressourcen abzielen, wie Bergbau, landwirtschaftliche Expansion und Holzabbau.

Der Kampf um den Schutz des Landes stösst immer wieder auf Hindernisse. Grosse Unternehmen bedrohen die Gemeinden durch die Ausweitung von Industrieprojekten oder die Aneignung von Land und können dabei auf die Unterstützung oder Komplizenschaft von Staatsbeamten vertrauen. Die Aktivist*innen stehen der Durchsetzung dieser Interessen im Weg und werden deshalb zur Zielscheibe von Drohungen, Einschüchterungen und Angriffen auf ihre körperliche Unversehrtheit.

Zwangsvertreibung: Ein hoher Preis ist zu zahlen

Eine der verheerendsten Folgen der Verteidigung des Territoriums ist die Zwangsvertreibung. In Honduras sind Hundertausende davon betroffen, und jedes Jahr werden es mehr.

Für die Vertriebenen bedeutet es, dass sie ihre ökonomische Lebensgrundlage, ihre Wurzeln und Lebensgewohnheiten zurücklassen müssen. Die emotionale Verbindung zu ihrem Land wird zerrissen, und es kommt zu einem tiefgreifenden Verlust des Zugehörigkeitsgefühls. Die Vertreibung bedeutet nicht nur den Verlust von Wohnraum und materiellen Gütern, sondern auch von Familien- und Gemeinschafts-banden, was zu einem dauerhaften Trauma führen kann. Darüber hinaus ist die ungewisse Zukunft der Vertriebenen mit vielen Herausforderungen verbunden, da sie oft in eine unbekannte und feindselige Umgebung geworfen werden, in welcher der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, angemessenem Wohnraum oder Arbeit nicht gewährleistet ist.

Für die Gemeinschaften stellt die Zwangsvertreibung von ganzen Familien eine menschliche Tragödie dar. Wenn mehrere Mitglieder einer Gemeinschaft gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen, wird das soziale und kulturelle, identitätsstiftende Gefüge zerrissen, und der Zusammenhalt in der Gemeinschaft wird geschwächt.

Der Kampf um Gerechtigkeit und die Schutzmassnahmen für Aktivisten

Die Institutionen im honduranischen Staat sind nicht in der Lage, den massiven Menschenrechtsübertretungen Einhalt zu gebieten. Dadurch wird eine Kultur der Gewalt und der Kriminalisierung von Aktivist*innen aufrechterhalten wird. Die extraktive Industrie stützt sich auf ein System, das ihr alle Privilegien einräumt. Sie handelt oft ungestraft im Vertrauen darauf, dass ihre Gewalttaten gegen Gemeinschaften toleriert und ihre Handlungen weder untersucht noch bestraft werden. Dieses Ungleichgewicht der Macht und die fehlende Rechenschaftspflicht stellen ein ernsthaftes Hindernis für die Justiz und den Schutz der Aktivist*innen dar, die ihr Land verteidigen.

Im Dezember 2022 verabschiedete die honduranische Regierung das “Gesetz zur Prävention, zur Beachtung und zum Schutz von Binnenvertriebenen”. Das Gesetz bildet die Grundlage zur Unterstützung von Menschen, die ihre Gemeinden unter Zwang verlassen mussten. Ausserdem soll das Gesetz die Entwurzelung weiterer Personen verhindern. Vorgesehen sind eine Reihe von Massnahmen zur Verhinderung von Binnenvertreibungen und bei der Umsetzung der vefassungsmässig festgelegten Schutzmechanismen für Menschenrechtsverteidiger und Umweltaktivistinnen gewährten

Die Schutzmechanismen sollten die Sicherheit von Aktivist*innen gewährleisten, doch wurde wegen staatlicher Ineffizienz in ihrer Wirksamkeit beeinträchtigt. Fehlende Ressourcen, Bürokratie und ein Mangel an wirksamen Massnahmen haben dazu geführt, dass die Menschenrechtsverteidigerinnen und Umnweltaktivisten nicht rechtzeitig angemessenen Schutz erhalten. Dies führt zu einem Teufelskreis, in dem der Kampf für Gerechtigkeit zu einem Akt extremer Tapferkeit wird mit einem hohen persönlichen und emotionalen Preis.

Die Präsenz von PWS in den Gemeinden

Die Präsenz von PWS in den Gemeinden und bei Aktivitäten zur Verteidigung des Territoriums verleiht den Aktivistinnen und Menschenrechtsverteidigern eine zusätzliche Ebene der Sichtbarkeit und des Schutzes. Die Anwesenheit unserer Begleitpersonen in den Gemeinden trägt nicht nur zur Abschreckung von Gewalttaten und Vertreibungen bei, sondern schafft in den lokalen Gemeinschaften auch ein Gefühl der Unterstützung in ihrem Kampf für Gerechtigkeit und zum Schutz der Menschenrechte und der Gemeingüter.

Zwangsvertreibungen als Folge der Verteidigung von Territorium sind eine Tragödie, die nicht ignoriert werden darf. Die Gemeinschaften kämpfen für ihr Land und die natürlichen Ressourcen, und nur durch Zusammenarbeit kann sichergestellt werden, dass der Mut dieser Gemeinschaften nicht zu weiteren Zwangsvertreibungen und Leid führt. Die Menschen müssen ihr Recht auf Mitsprache und Mitbestimmung einfordern können, ohne dafür an Leib und Leben bedroht zu werden.  


Fotolegende: Menschenrechtsbegleiterin von PWS in einer Gemeinde auf der Halbinsel Zacate Grande.